Obwohl wir noch mitten im Einrichten an unserem neuen, schönen Standort sind, mochten wir uns anlässlich einer Lausitzer Ausschreibung gern, in einer für die regionalpolitischen Belange der Bürgerschaft heilsamen, Frieden fördernden Weise, einbringen. Motivation für dieses ungeplante Engagement ist, dass wir teils vor 30 Jahren selbst lebhaft Anteil genommen haben an der Transformation eines überholten „Gesellschaftsbetriebssystems“, in ein – für uns Ossis damals – neues System. Da ist also außer fachlichem Interesse an Transformationsprozessen gehörig Herzblut dabei. Die Recherchen zu den Ereignissen in Zittau gestalteteten sich für uns als „Nichteinheimische“ zudem unerwartet interessant. Die heute eher gemütliche Lausitz war ein Reformationssubstrat! Hier ein erster Entwurf für die Projektwebseite.
In den Fachbereichen „Mikropolitik“ und „Suffizienzökonomie“ der Bürgeruni hätten wir systemtheoretische und strukturtheoretische Aspekte von disruptivem Wandel in kleinformatigen Veranstaltungsformaten natürlich in jedem Fall thematisiert. Dass die Implosion des mutierten Wirtschaftssystems ansteht, war leider seit Jahren überfällig. Eine narzisstisch gestörte Kultur legt freilich wenig Wert auf Kulturkritik geschweige Korrektur. Ein überreifes kulturelles Arrangement lässt sich freilich nur auf Zeit vor unpopulären Einsichten bewahren, nicht grundsätzlich. Die Gefahr wird zunehmend greifbar, dass aus Sozialwissenschaftlern Kleriker werden und mit der Selbstabschaffung der kapitalistischen Demokratien sich die Wissenschaft – eine Errungenschaft der Renaissance – in Religion zurück verwandelt. Wenn die Herolde unserer Zeit einander beim Design Götzen-gefälliger Narrative zu überbieten suchen und selbst ad absurdum führen, lernen die Leute freilich auch heute so wie in der ausgehenden DDR – langsam, aber sicher. Nun sind die Warner – die sich so wie Wolff oder Krall interessanterweise politisch völlig verschiedenen Doktrinen zuordnen – rehabilitiert. „‚To expect the unexpected shows a thoroughly modern intellect.“ meinte Oscar Wilde. Derart überrascht, wie führende Entscheider sich nun angesichts des Voraussehbaren zeigen, haben wir uns als Kulturgemeinschaft symptomatisch weit vom Reflexionsniveau der Moderne … inklusive postsäkulärer Aufklärung entfernt. Was es aus dem „Wintereinbruch“ unserer Kulturentwicklung abzuleiten gilt, da scheiden sich freilich die Geister – entsprechend ihrer quasireligiösen Prämissensetzungen.
Wird nun Ameropa ein einziges Stuttgart 21? Werden 85 % der Small Worlds unserer Weltwirtschaft auf das Niveau rumänischer Planwirtschaft zurückgeworfen? Offensichtlich ist, dass wir erst am Anfang der Eskalation von Emotionen stehen. Ob das Kunststück einer friedlichen Systemreformation „30 Jahre danach“ ein zweites Mal gelingt, das ist im Hinblick auf französische Verhältnisse und die hierzulande von Berufskollegen mit Eifer befeuerte Polarisation innerhalb der immer stärker quasireligiösen Heilslehren zugeneigten Gesellschaft recht ungewiss. Selbstkritik? Wenn wir als ethisch und ästhetisch reflektierte Sozialwissenschaftler auf die in Schützengrabenhaltung erstarrten Lager all der Opfer von Campaigning schauen, so leiten wir als Verpflichtung aus diesem neofeudalistischen Aufleben all der vorschnell für überwunden geglaubten Religionskriege ab, dass wir jenseits des Schwarz/Weiß-Denkens und überparteilich zu der aus den USA importierten Dichotomisierung in die Konfession der Republikaner / Demokraten unser Bestes für eine wissenschaftliche Versachlichung der Debatten und eine neue Aufklärung beitragen müssen. Wer meint, dass wir vom Niveau der Debatte her nicht tiefer als in diesen Tagen fallen können, der irrt.
Auch wir haben uns im Team trotz unseres offenbar recht treffsicheren Recherchestandes freilich „anstecken“ lassen vom unverhältnismäßigen Vertrauen in die Bühnenstars unserer Tage. Wir haben kalkuliert, dass die Systemdesigner dieser Welt sich insofern zu koordinieren verstehen würden, dass sie einen abrupten Systemabsturz vermeiden. Dieses gemeinsame Interesse sollte die neuaristokratischen Dynastien in Ost wie West eigentlich so weit einigen, dass sie die plötzlichen, meist als gewaltsam erlebten Systemanpassungen kraft koordinierter Aktion entbehrlich machen. Das Phänomen, auf das sich bspw. der Risikoexperte (und – Vorsicht! – AfD-Sympathisant!) Markus Krall in so unschöner als treffender Präzision bezieht, haben folge dieses Denkfehlers auch wir unterschätzt.
Immerhin kann man sich dem poetisch annähern, was Gott und die Welt uns allen miteinander in diesen Tagen als längst überfällige Lektion zumuten. Im politischen Lager der „Blauen Zirkuspartei“ sucht man sich an der Zivilcourage der Einwohner von Wuhan ein Beispiel zu nehmen. Vermutlich sind diese trotz ihres Patriotismus vor dem reflexhaften, die Opfer des Nationalsozialismus beleidigenden Vorwurf des Neonazismus weit genug entfernt. Hierzulande wird eine differenzierte Integration aus den positiven Seiten der Globalisierung und den positiven Seiten von Besinnung auf Region absehbar leider schwer fallen. Dabei sind wir eigentlich – neben Indien – eines der Ursprungsländer der Dialektik! In Berlin war aus dem entgegengesetzten politischen Lager der grünen Zirkuspartei heraus eine auch ästhetisch entgegengesetzt ausgerichtete Inszenierung von „Decamerone“ angesagt. Die mit missionarischem bis inquisitorischem Eifer zwischen diesen Religionsgemeinschaften ausgetragenen Diskurse muten in ihrer Verfehltheit an wie ein Streit unter Blinden über die Nuancen eines Regenbogens oder Goethes Farbenlehre. Aus aktuellem Anlass empfehlen wir für die Stärkung des psychischen Immunsystems (außer Vitamin D) anstatt Nostalgie und der Berliner Interpretation von Boccaccio italienische Klassiker.
Weil wir angesichts der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise eine politische Transformation erwarten, ist eine systematische Reflexion der Erfahrung von 1989/90 in unseren Tagen aus unserer Sicht besonders wertvoll. Hat „der Westen“, der eben mit „Defender Europe 2020“ noch vor Sankt Petersburg meinte, sich in einer Art Vorwärtsverteidigung gegenüber Russland verteidigen zu müssen, ähnlich „verzockt“, wie sich die Genossen verzockt hatten, die kurz nach den Paraden zum 40. Jahrestag der DDR so verblüffend planlos aus der Planwirtschaft abgedankt sind? Eine aktuelle, leider typische und aber immerhin analytisch scharfe, „westdeutsche“ Situationseinschätzung aus Zockerperspektive konterkariert den zur Schau getragenen Frohsinn führender Entscheider aus der Liga derer, die sich im Falle des Auffliegens ihrer Narrative per Helikopter – der Entsprechung zum Pferd der Raubritter vor 600 Jahren – in friedlichere Gefilde absetzen können. Wer sich als positiv gestimmter Zeitgenosse fragen mag, was die über ein viertel Jahr lang bagatellisierte Corona-Pandemie neben all dem Übel an Gutem bedeuten mag, für den hat Michael Gorbatschow eine Antwort. Ein Stimmungsbild als Ausblick auf das, was kommen wird, wenn die wirtschaftlichen Veränderungen politische Transformationen erzwungen haben werden. Unsere Lektüreempfehlung für alle, die aus der Geschichte zu lernen versuchen und thematisch tiefer einsteigen mögen, ist über 30 Jahre alt und doch wieder aktuell.