Nein auch Neue Systeme ist nicht per Definition innovativ, geschweige reformativ. Auch wir haben mit der Integration disruptiver Innovationen zu ringen! Interessanterweise muss man sich auch dann eingewöhnen, wenn glücklicherweise etwas ungeplant Erfreuliches dazwischen kommt. 2019 ergab sich überraschend die Chance zum Erwerb einer für Action Research und partizipative Bildung besonders geeigneten Immobilie. Unsere neue Heimat ist am Fuße des landschaftlich reizvollen, für entspannten Wochenendseminarbetrieb idealen Zittauer Gebirges gelegen.

Einer unserer Gesellschafter hatte hier 2007 – 2010 in der damaligen Medizinischen Berufsfachschule des Landkreises Löbau-Zittau unterrichtet und war mit dem Haus vertraut. Dieses aus der Epoche der Sächsischen Könige stammende, stattliche Gebäude war seit Jahrzehnten Bildungsstätte. Die Umnutzung der ehemals auch als Offiziershochschule sowie nach der Wende für VHS und Kreismusikschule betriebenen, großzügigen Räume ermöglicht uns die kleinschrittige Umsetzung einer lang gehegten Vision.

Dies ist – darin waren wir uns mit polnischen und tschechischen Partnern einig – der perfekte Standort für eine Dreiländeruni. Mit seinen hellen, weiten Räumen eignet es sich hervorragend als Keimzelle für die evolutionär nächste Form von Wissenschafts-organisation; den Aufbau einer eigenen, betont inno-vationsaffinen Bürgeruni in privater Trägerschaft analog zu im Anfangsstadium einst ähnlich belächel-ten Projekten, bei denen Netzwerkpartner beteiligt waren. Das Gebäude stellt nur eine vergleichsweise kleine Komponente eines größeren, ideal Campus-förmigen Gebäudensembles mit ehemals über fünfzig, derzeit nicht genutzten Objekten dar.

Die ersten konzeptionellen Überlegungen zu einer Form von Wissenschafts-organisation, welche die aus der – durch die Digitalisierung getriebenen – Didaktischen Revolution umsetzt, gehen bereits auf 2010 und bizarre Fügung – Lehrerfahrung in just diesem Gebäude zurück. Geplant war das Wurzeln-schlagen an einem, diesen Ort freilich so nicht. Es gibt angesichts der Dynamik des Bildungsmarktes heutzutage wenig Anlass, sich und sein Projektbud-get an Bedingtheiten eines Ortes zu binden. Selbst das Abhängigmachen von Content, welcher an Materie gebunden ist, macht betriebswirtschaftlich und hinsichtlich Kundenfreundlichkeit nur in Ausnahmefällen noch Sinn.

Einerseits gefällt es uns nicht und andererseits sind wir doch – ähnlich wie beim Einzelhandel – alle Täter: Mediatheken ersetzen Bibliotheken. Der Download der didaktisch immer brauchbareren Serious Games ersetzt den Buchladen. Webinare sind weltweit verfügbar und an Lernbedingungen und Zeitmanagement der Unternehmen und Mitarbeiter flexibel anpassbar. Die Qualität von Tagungshotels wird immer besser. Teilnehmer kommen oft nicht nur der Lernperformance wegen.

Sie kommen wegen Wellnessfaktoren und weil sie die Abwechslung vom Büroalltag schätzen. Und so reiste Fritz B. Simon plus Supervision im Frühjahr aus dem Berlin der Superlativen eigentlich nach Zittau, um uns zu sagen, dass die Bindung an eine immobile Spielstätte Blödsinn sei. Aber Surprise! Vor Ort sondierten wir mit der Erfahrung von Jahrzehnten an Weiterbildung in mehr oder weniger geeigneten Veranstaltungsorten als Hintergrund das Terrain.

Und sind angesichts der hellen, großzügigen Räume mit traumhafter Aussicht Richtung Riesengebirge und der völlig unterschätzten, schönen Stadt allesamt dem Zauber der Topologie erlegen! Mit FBS Empfehlung im Hinterkopf, uns hinsichtlich Organisation der Selbstorganisation, Strukturaufbau und Kulturentwicklung am Black Mountain College zu orientieren, richten wir es hier so ein, dass der Besuch in Zittau zum unverzichtbaren Erlebnis wird. Das Gebäude und die landschaftlich traumhafte sowie kulturell drastisch unterschätzte Umgebung machen uns das leicht.

So es uns gelingt, die teils durch entmutigende Nachwendeerfahrungen geprägten Stadtweisen dafür zu gewinnen, kann hier ein auf die Reflexionsbedarfe des Digitalzeitalters aus-gerichtetes neues „Bauhaus“ inmitten einer Art „Gartenstadt Hellerau 2.0“ entstehen. Schnell zeigte sich: Die entscheidende Variable dafür ist nicht das Geld für den Update der Gebäude. Es ist auch nicht der Bedarf an jenseits des Kirchturmhorizontes längst mit Erfolg genutzten Gestaltungsfreiräumen.

Erfolgskritische Variable ist auch nicht der hier längst angelegte „Content“ für zukunftsaffine Lehre und Pro-jektarbeit. Die entscheidenden Variablen sind das Vorstellungsvermögen und die mehr oder minder ausgeprägte Courage der lokal den Frame des Vor-stellbaren beschränkenden / erweiternden Ent-scheiderzirkel vor Ort. In dem Zusammenhang ergab sich eine weitere überraschende Abweichung vom Konzept. Geplant war, dass auch wir unsere Bürger-uni rein virtuell aufsetzen. Mentorship, Community Building lebt natürlich von persönlicher Beziehung.

Anlässlich Mitarbeit an der Konzeption des Studien-gangs für eine traditionelle akademische Einrichtung hatten wir für das Kennenlernen erlebnisintensive Phasen für Begegnung eingebaut. Den Schwerpunkt von Forschung, Lehre und Projektarbeit aber halten wir im virtuellen Raum belassen. Die Beobachtung ähnlich ambitionierter Projekte hat uns bereits eine Ahnung vermittelt, dass dies „zu viel des Guten“ sein könnte. Bei der Frage, wie cool die schöne neue Lernwelt sein darf, unterscheiden sich natürlich die Digital Natives von betagteren Generationen.

Wie cool sollen / dürfen wir dem Empfinden welcher unserer Zielgruppen nach sein? Die vielen Sondierungsgespräche anlässlich Bürgeruni mit BürgerInen vor Ort und mit Digitalarbeitern in den, folge Verdichtungsdruck vergleichsweise unattraktiven Ballungsräumen, erbrachten einen überraschenden sozialgeografischen Befund! Es stellte sich heraus, dass unsere eigentlich nicht smarte, betriebswirtschaftlich heikle, und eher romantische Anwandlung in Form teilweiser Abkehr von durchrationalisierter Bildung im perfekten Stundenhotel überraschend gut ankommt.

Wer sich an einen Ort bindet, signalisiert damit die Bereitschaft, soziale Verantwortung zu übernehmen. Die Landung unseres „Ufos“ im „Reallabor Zittau“ erfolgte in Bezug auf eine weitere Überraschung leider etwas verspätet. Die ansonsten oft uneinige Bürgerschaft der Stadt hatte den Mut gefasst, sich für den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 zu bewerben. Klasse! Aus unserer Sicht als Zugereiste war dies die Chance, ein Thema zum Gegenstand der Bewerbung zu machen, das unzählige andere europäische Kommunen auch haben …

Zittau mit seinen, für viele europäische Städte reprä-sentativen Wunden, hat das Zeug zur Modellstadt für nachhaltige Transformationsgestaltung. Die Trans-formation von Demografie, die damit verbundene Nutzung historischer Industriearchitektur als der in Großstädte vermisste Gestaltungsfreiraum und die Umkehr der demografischen Entwicklung durch ge-zielte Ansprache der Digitalarbeiterfamilien in den Ballungsräumen durch beispielhaft attraktive Refor-mationsprojekte ist das Thema, in dem Zittau mit Pilotprojekten zum, für andere Gemeinden interessanten Vorreiter wird.

Die einst reiche und nun unvollendete Sinfonie einer Kleinstadt könnte in der internationalen Transition Town Bewegung der Hingucker werden! Beispielhafte Problemlösungen wären der entscheiden Beweggrund für Vertreter europäischer Kommunen mit ähnlichen Transformationsproblemen, um die schöne Stadt zu besuchen und hier zu lernen, wie Transformation systematisch gestaltet werden kann. Potentielle Bau-stellen für beispielhafte Transformationsprojekte und Reformer mit Schmackes, lachten einen hier an jeder dritten Straßenecke an. Was Locals beklagen ist, was Großstadthelden zwecks Proof of Concept suchen.

Dies ist die Chance, um aus den, von vielen Locals nur als „Schandflecken“ und „alten Buden“ begriffenen Gestaltungsfreiräumen Anziehungs-punkte für die vom Fake entzauberter Schwarm-städte  genervten und in Projektmanagement und Zeitarbeit resilient gewordenen Digitalarbeiter-familien zu machen. Soweit die Theorie. Alles, was es dafür braucht, ist schon da. Es braucht „nur“ gemäß der längst ausgebildeten Denkkultur der Zittauer Ingenieure synergetisch verknüpft zu werden. So unser Ersteindruck von der sozialen Topografie. Praktisch sollte es freilich anders kommen.

Einerseits lächelte uns das berüchtigte Risiko-monster drohender Verzettelitis an; Gleichzeitig eigene Strukturen aufbauen und im Markt der lokalen Ideen und Akteure rund um die Kulturhauptstadt-bewerbung um Geltung unvertrauter Perspektiven ringen? Schnell wurde klar, dass die Protagonisten selbst in erster Linie damit zu kämpfen hatten, die lokalen Entscheider für etwas mehr Mut zur Inno-vation zu begeistern. Der Volksentscheid innerhalb der Bürgerschaft war ein Erfolg im Sinne gelebter Demokratie, den keiner den Zittauern nehmen kann.

Der Entscheid in Brüssel im Sinne der mit der Bewerbung beanspruchten europäischen Dimension war es leider kein Erfolg infolgedesssen schlicht das Thema verfehlt wurde. Worüber man nicht sprechen darf, daraus kann man nicht lernen. Wir halten uns zurück und erinnern uns einfach nur an Karl Valentin: „Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“ Rationalitäts-kriterien in Brüssel sind andere als in der Zittauer Stadtverwaltung. Zittau und Europa haben eine reiche Vergangenheit, deren Würdigung zu einer Bewerbung dazu gehört.

Entscheidend ist in Europa aber gerade nicht die unbestritten reiche Vergangenheit sondern die Frage der Zukunftsfähigkeit. Theoretisch war sonnenklar, dass für die Kulturhauptstadtbewerbung die Heraus-forderungen der Stadt das größte Geschenk dar-stellte und ins Zentrum des Narrativs gestellt werden müsste. Die „Schandflecken“ und „Brachen“ aber blieben als Potential, als Projektionsfläche, wie man sie in Dresden, Berlin, Brüssel trotz Blitzlicht-gewitter nicht hat und vermisst, komplett unbe-griffen. Jeder Konstruktivist weiß: Wenn jemand nicht weiß, dass er etwas nicht weiß, so ist ihm zu helfen.

Wie aber ist das, wenn jemand nicht weiß, dass er nicht weiß, was er nicht weiß?! Auch unser Vorschlag, auf die drohende Enttäuschung innerhalb der Bürger-schaft mit Bewerbung um die Landesgartenschau 2025 zu reagieren, verhallte resonanzarm. Wohin-gegen man in Dresdner Ministerien über eine Bewerbung erfreut wäre. Es bestätigt sich die von jedem schon einmal gemachte Erfahrung: Es reicht innerhalb sozialer Status-ökonomien nicht aus, dass jemand die Idee für die Lösung eines miteinander beklagten Problems hat.

Es muss auch der „Richtige“ sein, der die Idee haben „darf“. Vor über 400 Jahren musste ein Schreiber die Tochter des Bürgermeisters heiraten, bevor ihm Mitspracherecht in städtischen Fragen gewährt wurde. Und so, kaum, dass wir im Reallabor Zittau als gleichsam Außerirdische gelandet sind, umarmten einander schließlich Theorie und Praxis: Transformationsprozesse sind Reifeprozesse. Reformation ist nur bedingt forcierbar, weil in ein Zeitfenster bloß vorübergehend offener Statushierarchien eingekleidet.

Unsere, anhand von Mismatch-Erlebnissen eher intuitiv getroffene Prioritätensetzung und Fokussierung auf Sicherung des Brückenkopfes am potentiellen Lausitz~Transformation~Campus hat sich als richtig erwiesen. Rationalitätskriterien in Brüssel sind andere als in der Zittauer Stadtverwaltung. Zittau und Europa haben eine reiche Vergangenheit, deren Würdigung zu einer Bewerbung dazu gehört. Entscheidend ist in Europa aber gerade nicht die unbestritten reiche Vergangenheit sondern die Frage der Zukunftsfähigkeit.

Theoretisch war sonnenklar, dass für die Kulturhauptstadtbewerbung die Herausforderungen der Stadt das größte Geschenk darstellte. Der typisch europäische Reformationsbedarf müsste ins Zentrum des Narrativs gestellt werden. Die „Schandflecken“ und „Brachen“ aber blieben als Potential, als Projektionsfläche, wie man sie in Dresden, Berlin, Brüssel trotz Blitzlichtgewitter nicht hat und vermisst, komplett unbegriffen. Die bei Traumaopfern anzutreffende Selbstherabsetzung und Verstümmelung des eigenen Körpers scheint unaufhaltsam.

Trotz Paradiesvogelstatus waren und sind die BürgerInnen vor Ort, die noch bzw. schon etwas kühner sind, uns gegenüber freundlich und unterstützend. Trotzdem wir noch mitten in ganz profanen Aufbau- und Reparaturarbeiten befangen sind, dürfen wir mit gewisser Verblüffung feststellen: schon im Kleinen funktioniert die Bürgeruni besser als gedacht. Durch unser Commitment für einen Ort ist absehbar, dass mit uns jenseits all der inzwischen landauf landab berüchtigten Projektlaufzeiten und zweckgebundenen Budgets zu rechnen sein wird.

Viele BürgerInnen glauben nicht mehr an Projekte sondern nur noch an das, was sie sehen, dass jemand praktisch umsetzt. Anhand dieser, angesichts mancher Nachwenderfahrungen verständlichen, Haltung hat sich unsere Philosophie des Kaizen bestätigt. Lieber kleine Schritte, aber dafür stetig und konkret. Unser Vorschlag, auf die drohende Enttäuschung innerhalb der Bürgerschaft mit Bewerbung um die Landesgartenschau 2025 zu reagieren, verhallte resonanzarm.

So umarmten sich schließlich Theorie und Praxis: Transformationsprozesse sind Reifeprozesse. Reformation ist nur bedingt forcierbar, weil in ein Zeitfenster bloß vorübergehend offener Statushierarchien eingekleidet. Unsere, anhand von Mismatch-Erlebnissen eher intuitiv getroffene Prioritätensetzung und Fokussierung auf Sicherung des Brückenkopfes am potentiellen Lausitz~Transformation~Campus hat sich als richtig erwiesen.

Wie in einer Supervision beobachten wir nebenher zum praktischen Tun, wie man sich müht, Erwartungen zu entsprechen, die woanders längst als überholt gelten und die längst gegebenen Potentiale der eigenen Topologie verkennen. Ähnlich mag es den Außerirdischen des Bauhaus einst ergangen sein. Wenn das Erscheinungsbild sich nicht weiter dem eines Vorortes von Gelsenkirchen angleichen soll, wird es einige Neuzugänge brauchen. Womöglich besteht darin unsere Rolle hier.

So sind wir jetzt sozusagen als „Soldaten des Friedens“ unterwegs. In jenen Räumen, in denen einst Politische Ökonomie, Gefechtsfeldausbildung, Taktik und Wundversorgung gepaukt wurde, diskutieren wir bspw., welche Rolle bspw. der Historische Materialismus – in der alles andere als marxistisch eingestellten Consulting-Szene wird das Phänomen der Evolution von Kulturgeeinschaften heutzutage unter den politisch Tabu-freien Labels „Spiral Dynamics“ und „Holocracy“ diskutiert – in einer Next Society post Corona spielen wird.

2019 haben wir für die dem Gemeinwohl und der Partizipationsforschung gewidmeten Aufbauarbeiten und Projekte als Träger den gemeinnützige Bürgeruni e.V. gegründet. Als Firma und absehbar Mieter richten wir derzeit im Gebäude ein Coaching-Studio sowie ein Atelier für Soziale Plastik, in Kooperation mit dem Carl-Auer-Verlag einen Veranstaltungsbuchladen sowie ein Orga-Büro für unseren Internetverlag ein und bereiten die Seminarräume für unsere Wochenendakademien und Fachtagungen vor.